E U R O P A F O R U M

SPD Schleswig-Holstein

21. Dezember 2015

Deutschland/Polen/Soziale Demokratie/Zukunft
Fortschrittliche Politik für Europa, bloß welche und wie?

Seit mehreren Jahren gehöre ich dem von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Polen initiierten „Progressiven Netzwerk 2020“ an. Wir haben aus unseren Debatten ein „Policy Paper“ entwickelt, an dem ich mitgewirkt habe. Ich hoffe, dass trotz der gegenwärtigen, miesen Regierungspolitik durch die Rechtskonservativen und Nationalisten in Polen, unsere Impulse für eine progressive Politik irgendwann doch noch ihre Kraft entfalten werden. Wir haben nach einer kleiner Pause unsere Arbeit im Netzwerk wieder aufgenommen – kurz vor dem Rechtsruck in Polen. Dazu habe ich an dem Erstellen eines thesenhaften Aufrisses, der sich dem Grundsatz „Progressive Politik und Demokratie“ widmet, mitgewirkt; der möge breit diskutiert und kommentiert werden. Eine andere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den sozialen und ökonomischen Bedingungen progressiver Politik. LeserInnen dieses Blogs dürfen gern ihren Kommentar dazu abgeben. Die kommenden Tage mit ihrem besinnlichen, friedfertigen Charakter eignen sich ja besonders dazu, sich solchen Gedanken zu stellen, wie es gelingen kann, progressive Politik in Europa voranzubringen. Hier nun der Aufriss auf deutsch, der auch gern dort drüben auf Englisch kommentiert werden kann. Ich will Eure Anmerkungen gern in den Arbeitsprozess des Netzwerks einbringen:

Selbstverständnis

Angesichts der Erfahrungen und der Geschichte in Polen und Deutschland gibt es ein ähnliches, aber auch unterschiedliches Verständnis für die demokratische Kultur und das Vertrauen in Staat und Demokratie. Dennoch gilt für Polen, Deutschland und Europa: Vertrauen kann durch die richtige Art der Politikvermittlung geschaffen werden. Dazu müssen die Menschen weiterhin für die Demokratie begeistert werden: nicht nur die Formen der Demokratie wollen wir lebendig halten, sondern auch ist dringend zu klären, wie wir mit denjenigen umgehen, die sich abgehängt fühlen. Bilaterale, europäische Debatten darüber sind eine Bereicherung und wir entwickeln auf diese Weise ein gemeinsames Verständnis progressiver Politik. Dabei sollten wir progressive Politik immer unter sozialstaatlichen Aspekten betrachten, denn progressive Politik beeinflusst das Vertrauen und das Verständnis für Demokratie.

Wer politisch aktiv ist, muss stets seinen Handlungsrahmen bedenken. Die Daseinsberechtigung für Politik besteht darin, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Wir wollen darüber nachdenken, wie unsere europäische Gesellschaft unsere Ideen für eine progressive Politik in der Demokratie umsetzen kann.

Demokratie

Demokratie begreifen wir als Infrastruktur bzw. Bedingung für die Durchsetzung progressiver Politik und wollen diese Infrastruktur lebendig halten. Wir müssen vor dem Hintergrund abnehmender Wahlbeteiligung die Lücke zwischen Bürgern und Politik schließen. Wie kommt die Demokratie zu den Bürgern bzw. wie kommen die Bürger ihrer Demokratie näher? Wie können wir (europaweit) zur aktiver Partizipation anregen?

Wir müssen Beteiligungsformen in unseren Organisationen und Parteien neu denken. Das ehrenamtliche Engagement als Form der Bürgerbeteiligung (in Polen) müssen wir stärken, um bspw. die Flüchtlingsfrage zu bewältigen. Ebenso benötigen wir die Einführung einer Wahlpflicht. Zugleich sollten wir die Demonstrationskultur fördern. Dies setzt voraus, dass große Themen so kommuniziert werden, dass eine Betroffenheit bei der jeweiligen Zielgruppe erreicht wird. Auch die Möglichkeiten der politischen Bildung können wir besser nutzen. Dazu sind die Akteure und die mögliche Beteiligungsformen zu identifizieren.

Doch wie steht es um die repräsentative Demokratie und damit eng verbundenen die Rolle der Parteien? Sind Parteien ein Auslaufmodell oder Zukunftsmodell der politischen Willensbildung? Helfen Instrumente und Projekte der e-democracy, um mehr Bürger in der demokratischen Gesellschaft zu aktivieren? Fest steht: Wenn Bürgerbeteiligung, dann dürfen nur aufrichtige Prozesse in Bewegung gesetzt werden; viele Beteiligungsprozesse verkommen inzwischen zur Farce (Bürgerhaushalte, Europäische Bürgerinitiative). Gibt es eine realistische Alternative zu den politischen Parteien? Wird sich die klassische Sozialdemokratie für neue Bewegungen im linken Spektrum öffnen? Wie kann die Linke den Konservativen die Mechanismen der bereits bestehenden direkten Demokratie entziehen, damit sie dem gesellschaftlichen Fortschritt und nicht dem Machterhalt wirtschaftlich oder symbolisch privilegierter Gruppen zu Gute kommen?

Progressive Politik

Politik ist gerne dann progressiv, wenn man es sich leisten kann. Klimaschutz, Partizipation etc. sind Ziele, die in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität umgesetzt werden können, in Krisenzeiten jedoch nicht. Krisenpolitik zeichnet sich im Gegenteil durch dezidiert antiprogressive Politik aus. Offensichtlich ist dies ein Strukturproblem der Politik, dass Progressivität immer dann, wenn sie am meisten gebraucht wird, ausbleibt und zwar unabhängig von konkreten Politikfeldern. Die Möglichkeiten und Grenzen progressiver Politik in Zeiten globaler / europäischer Krisen scheinen sehr eng zu sein. Es muss uns gelingen, bei den Bürgern Solidarität bei der Bewältigung von Krisen mittels einer überzeugenden Sprache einzufordern. Progressive Politik darf nicht nur für Wohlstandsgesellschaften eine Option sein. Als Bündnispartner zur Lösung politischer Krisen ist die Zivilgesellschaft zu fordern. Wir müssen nämlich die Mechanismen stärken bzw. entwickeln, die auch in Krisenzeiten progressiven Lösungen förderlich sind.

Zunächst brauchen wir eine Definition progressiver Politik in Zeiten der Krise, die jenseits des Versprechens auf mehr Wohlstand für alle verweist. Für die weniger Begüterten müssen wir ein Narrativ von Solidarität, Freiheit und Grundrechten finden. Wie gestalten wir also progressive Politik und wie klingt unser progressives Narrativ während der Krise?

Wir müssen zuvörderst den Bürgern die Angst vor Veränderungen nehmen. Modernisierungsprozesse wie die „Digitalisierung“ und „das Internet“ sind immer auch Chancen für mehr Demokratie, Partizipation, Freiheit und letztlich gutes Leben. Jedoch gilt es im Hinblick auf neue Herausforderungen und die Entwicklung neuer Technologien, die Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten weiterhin zu gewährleisten. Aber auch globale Entwicklungen (Klima, Wirtschaft, Kultur) haben Einfluss auf unsere progressive Politik in Europa.

Enrico Kreft

sozial, demokratisch, europäisch, nordisch

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