Beiträge von Christopher Schmidt
Sonstiges
Der Friedensnobelpreis 2012
Das norwegische Nobelpreiskommittee hat dieses Jahr den Friedensnobelpreis an die Europäische Union verliehen. Es würdigte damit die Leistungen, die die Union und ihre Vorgängerorganisationen für den Frieden und Zusammenhalt der europäischen Länder in den letzten 60 Jahren erbracht hatten. Gleichzeitig drückt der Preis die Hoffnung aus, dass die Europäische Union eine Lösung zu ihrer derzeitigen Krisensituation findet. mehr…
Deutschland
Die Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene
Gehen wir davon aus, das soeben gestartete Mitgliederbegehren gegen die Vorratsdatenspeicherung wäre erfolgreich gewesen, und auch die Bundestagswahl 2013. Nach der schleswig-holsteinischen Landesregierung würde sich also auch eine SPD-geführte Bundesregierung offiziell gegen die Vorratsdatenspeicherung aussprechen.
Welche Möglichkeiten hätte die Bundesregierung auf EU-Ebene, gegen die 2006 beschlossene Richtlinie vorzugehen?
I. Abänderung der Richtlinie
Ein großes Problem stellt das Verfahren dar: zunächst ist zwischen Rahmenrichtlinie (III. Säule, im Rahmen der gemeinsamen Innen- und Sicherheitspolitik) und EG-Richtlinie (I. Säule, im Rahmen des europäischen Binnenmarktes) zu unterscheiden. Eine Rahmenrichtlinie wird im Rat einstimmig beschlossen, ohne Mitbestimmung durch das Parlament. Eine EG-Richtlinie wird hingegen von der Kommission eingebracht, und jeweils durch einfache Mehrheiten in Rat und Parlament bestätigt. In keinem Fall kann hier also die Initiative vom Parlament ausgehen. Ursprünglich hatten die Regierungen eine Rahmenrichtlinie geplant, dann aber davon abgesehen und diese als EG-Richtlinie eingebracht. Eine Klage Irlands dagegen wurde vom Gerichtshof abgewiesen.
Dies bedeutet, das seine Abänderung einem ähnlichen Verfahren folgen müsste. Die Kommission müsste demnach einen Änderungsvorschlag einbringen, der dann von einfachen Mehrheiten in Rat und Parlament bestätigt würde. Dies würde sicherlich nur bei einer überwältigenden europaübergreifenden Bewegung gegen die Vorratsdatenspeicherung funktionieren.
II. Nichtumsetzung der Richtlinie
Die Forderung, dass Deutschland nicht vertragsbrüchig werden solle, scheint auf den ersten Blick schlüssig. Allerdings ist es so, dass Deutschland bereits jetzt schon einige Richtlinien nicht vertragsgetreu umsetzt. Da ich keine genaue Auflistung finden konnte, hier nur ein paar Beispiele:
- die Geldwäscherichtlinie (2005/60/EG). 2011 wurde Deutschland von der Kommission gerügt, da zwei Bundesländer bis jetzt nicht die erforderlichen Aufsichtsbehörden benannt hatten.
- Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG). 2006, nach 14 Jahren, wurde Deutschland vom Gerichtshof verurteilt.
Vertragsverletzungsverfahren, die von der Kommission vor dem Gerichtshof angestrengt werden, sind in der Rechtspraxis der EU keine Seltenheit.
Eine deutsche Regierung könnte sich also durchaus weigern, die Richtlinie umzusetzen, und wüsste sich in der guten Gesellschaft von vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten. Zumal sie noch einen guten Grund dafür hätte: das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 2. März 2010 entschieden, dass das vom Bundestag 2007 verabschiedete Gesetz in großen Teilen verfassungswidrig war, da das Gesetz den strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine solche anlassunabhängige Speicherung nicht genügte. Aber selbst auf EU-Recht bezogen gibt es Zweifel: der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellte im Februar 2011 fest, dass die Richtlinie schwer in Einklang mit der Europäischen Grundrechtscharta zu bringen sei. Dies sind durchaus gewichtige Argumente für eine Nichtumsetzung und letztlich für eine Abänderung.
III. Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof
Nun mag man einwenden, dass eine Nichtumsetzung nur eine Lösung von kurzer Dauer ist, denn irgendwann würde die Kommission den Klageweg bestreiten. Eine solche Klage wurde in der Tat in dieser Sache bereits eingereicht. In einem solchen Verfahren steckt sowohl eine Chance als auch ein Risiko: die Chance besteht darin, dass der Gerichtshof ebenfalls eine Unvereinbarkeit der Richtlinie mit der Grundrechtecharta feststellen würde. Dies könnte entweder im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens oder in einem separaten Verfahren (wie diesem) geschehen. Eingriffe in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, wie sie die Vorratsdatenspeicherung darstellen würde, müssen hinreichend gerechtfertigt sein.
Ein Risiko liegt darin, dass der Gerichtshof in einem ähnlichen Fall Schweden verurteilt hat, die Richtlinie umzusetzen, wobei bei dem Verfahren gegen Schweden Grundrechtsfragen eine geringe Rolle spielten. Die Kommission droht mit einer Vertragsstrafe von ca. 300.000 Euro pro Tag. Die Strafe würde jedoch erst greifen, wenn ein Urteil gegen Deutschland verhängt würde, und ist dadurch also nicht rückwirkend (Schweden gelang es sogar, den Vollzug der Strafe um ein Jahr auszusetzen, bis es die Richtlinie umgesetzt hatte). Das finanzielle Risiko wäre also überschaubar. Das größere Risiko liegt in der Frage, was passieren würde, wenn in der Sache der Vorratsdatenspeicherung das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof über Kreuz liegen sollten.
Fazit: am einfachsten wäre es, wenn der Europäische Gerichtshof die Richtlinie für ungültig erklärte. Jedoch würde dieser Weg wie oben beschrieben auch Risiken mit sich bringen und in Anbetracht der durchschnittlichen Verfahrensdauer von zwei Jahren das ganze in die Länge ziehen. Insofern sollte eine SPD-geführte Bundesregierung das Heft des Handels in die Hand nehmen und mit möglichst breiter Unterstützung durch andere Staaten schon 2013 eine Abänderung der Richtlinie erreichen.